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Tages-Anzeiger, 7 January 2006

Quittung für das SVP-Wachstum

Die Nöte der Zürcher SVP bei der Besetzung von Spitzenämtern zeigt klar: Die Partei ist so schnell gewachsen, dass ihr nun oft das geeignete Personal fehlt. Und Nobodys werden nicht gewählt.

Von Helmut Stalder

In Zürich ist die Situation besonders augenfällig: Die SVP muss einen neuen Kantonalpräsidenten finden. Sie muss nach der Wahlschlappe von Toni Bortoluzzi und Bruno Heinzelmann einen oder zwei mögliche Regierungsräte
für die nächsten Wahlen aufbauen. Sie muss zugleich mit dem Leichtgewicht Roger Liebi einen fast aussichtslosen Kampf um einen Stadtratssitz führen. Und sie muss für die Nachfolge von Ständerat Hans Hofmann einen Kandidaten finden, nachdem Regierungsrätin Rita Fuhrer abgesagt hat. Fuhrer wäre parteiübergreifend anerkannt genug für die Ständeratswahl. Aber als einziges SVP-Regierungsmitglied braucht es sie auch als Motor für die kantonalen Parlamentswahlen im Frühling 2007.

Die Personalprobleme in Zürich zeigen ein Dilemma der SVP, das in vielen Kantonen immer deutlicher wird: In den Parlamenten legt sie zu. Sie hat aber nur wenige Leute, die für Spitzenämter geeignet sind und mit Aussicht auf Erfolg antreten können. So zauberte die SVP St. Gallen für die Regierungsratswahlen 2004 aus dem politischen Nichts Ernst Jörin hervor, um ihre Stärke in einen Exekutivsitz umzumünzen. Er scheiterte prompt und verschwand wieder. Ähnlich im Aargau. Auch hier unterlag 2004 Alexander Hürzeler beim Kampf um einen zweiten Sitz, obwohl die SVP in der Regierung untervertreten ist.

Regierungsetage verwehrt
1990 stellte die SVP erst in der Hälfte der Kantone Parlamentarier und kam nur auf 12,7 Prozent aller Legislativsitze (gewichtet nach Parlamentsgrösse und Bevölkerung), wie die Politologen Pascal Sciarini und Daniel Bochsler
von der Universität Genf errechnet haben. Seit 2005 ist sie erstmals in allen Kantonsparlamenten vertreten und mit 23,3 Prozent aller Legislativsitze die Nummer eins neben der SP. Ihre Regierungsmacht dehnte sie aber kaum aus. 1990 stellte die SVP 16 von 158 Regierungsräten, heute sind es 19.

Auf der SVP-Zentrale in Bern macht man kein Geheimnis daraus, dass der Mangel an valablen Spitzenkandidaten mit dem Wachstum der Partei zu tun hat. «Das ist eine normale Erscheinung, wenn man Erfolg hat», sagt Generalsekretär Gregor A. Rutz. «Man gewinnt Einfluss und kann viele Ämter besetzen. Aber ich will nichts verniedlichen und beschönigen: Gute Leute sind dünn gesät, das ist bei allen Parteien so. Wir sind herausgefordert,
den Nachwuchs zu fördern und Leute aufzubauen.» Ein anderer Parteifunktionär, der nicht genannt sein will, sagt es so: «Wir sind schnell gewachsen, die Personaldecke ist dünn. Es sind Leute reingerutscht, die nicht die Ochsentour gemacht haben und wenig Zeit hatten, sich einzuarbeiten.»

Die Genfer Politologen nennen in ihrer Analyse ähnliche Gründe, warum die SVP nicht Kandidaten in einer Zahl in die kantonalen Exekutiven bringt, wie es ihrer Parteistärke entspräche. Im Majorzsystem, in dem die meisten Regierungen bestellt werden, braucht ein Kandidat Unterstützung weit über die Partei hinaus. Zwei Faktoren wirken dabei gegen die SVP: ihr ungenügendes Regierungsprofil und ihre fehlende Etablierung auf dem
politischen Parkett. Wo die SVP auf ein Oppositionsprofil setze, buche sie Gewinne bei Parlamentswahlen, verbaue sich aber den Weg in die Regierung.
Zudem ist die Persönlichkeit der Kandidaten wichtig. «Parteien müssen in der Regel bekannte und erfahrene Kader aufbauen, um in Exekutivwahlen Erfolg zu haben. Wenn aber Parteien neu gegründet werden, fehlt ihnen oft
das politische Personal für die Besetzung verantwortungsvoller Ämter», schreiben die Politologen. Bei der SVP zeigt sich das nicht nur bei Regierungswahlen. Auch beim Bundesverwaltungsgericht musste sie passen, weil sie keine Kandidaten fand.

Kurse für Greenhorns
Die SVP hat erkannt, dass sie in Windeseile aus politischen Neulingen Profis machen muss. Deshalb bietet sie interne Schulungen an: Rhetorik, Verhandlungstaktik, politisches Basiswissen. «Man muss auf tiefem Niveau anfangen - auch weil der Staatskundeunterricht in den Schulen so miserabel ist», klagt der Kantonalzürcher Parteisekretär Claudio Zanetti. Die SVP Schweiz lehrt zudem an Kursen, wie man Sektionen aufbaut, Abstimmungskämpfe führt und das Parteiprogramm vertritt. «Wir hatten bisher wenig Zeit dafür, weil die Partei so schnell gewachsen ist», sagt Rutz. Dieses Jahr will die SVP gross anrichten. Derzeit liegt ein Seminarkonzept bei den Sektionen zur Begutachtung. Es umfasst einen Basisblock mit Staatskunde und politischem Handwerk, einen Methodenblock, in dem Teilnehmer lernen, sich und ihre Botschaften zu präsentieren, sowie individuelles Coaching für künftige Regierungsräte und Gemeindepräsidenten.

Das kantonale und nationale Kader triff sich jeweils Anfang Jahr zur Weiterbildung in Themen wie «Direkte Demokratie», «Liberalismus» oder «Führungsgrundsätze». Gestern, am Tag nach den verwirrenden Verlautbarungen zur möglichen und doch nicht möglichen Kandidatur von Rita Fuhrer als Ständerätin, trafen sich die SVPler in Bad Horn am Bodensee. Thema dieses Jahr: «Wahlkampfstrategien».

update 27/08/06